Diese Warnung hält sich hartnäckig. Wenn Du gleichzeitig Kirschen isst und Wasser trinkst, kriegst Du Bauchschmerzen. Stimmt das eigentlich und warum sollte das so sein?
Wer hat’s erfunden?
Jeder von uns kennt die Geschichte schon von seinen Großeltern und diese kennen sie wiederum von ihren Eltern und so weiter. Wann und durch wen dieser Mythos einstmals, vor allem in Deutschland und Österreich, verbreitet wurde, darüber rätseln sogar die Historiker. „Wer Kirschen isst und dann gleich Wasser trinkt, dem wird der Bauch platzen, zumindest stellen sich unerträgliche Bauchschmerzen ein“, so der alte Irrglaube.
Das Ballspiel um Kirschen und Bauchschmerzen
Inhalt
Es war einmal ein lustiges Ballspiel für Kinder: Zwei Kinder werfen sich gegenseitig einen Ball zu. Wer der Ball nicht fangen kann, muss Kirschen essen. Lässt dasselbe Kind den Ball erneut fallen, muss es ein Glas Wasser trinken. Beim dritten Mal „bekommt es Bauchschmerzen“ und beim vierten Mal hat das Kind das Spiel verloren, denn es wird „ins Krankenhaus eingeliefert“.
Derlei Dinge brennen sich zuweilen tief in unser (generalisiertes) Unterbewusstsein ein und verleiden uns die Lust auf ein kühles Getränk nach dem Genuss von Kirschen. Aber es gibt auch weitere Hinweise darauf, dass im Allgemeinen Steinobst in Kombination mit Wasser unangenehme Bauchschmerzen verursachen können. Dazu gehören zum Beispiel Aprikosen, Pflaumen oder Marillen.
Was sagt der Arzt dazu?
In der medizinisch-wissenschaftlichen Forschung wurde das Thema noch nie richtig aufgegriffen, obwohl doch sonst jede noch so verrückte Fragestellung gern zum Thema einer ganzen Serie von Studien gemacht wird. Nicht einmal die Berichte über Einzelfälle, in denen Patienten nach dem Verzehr von Früchten und Wasser unter unerklärlichen Verdauungsstörungen litten, sind einer Veröffentlichung zugeführt worden. Gäbe es tatsächlich so etwas wie ein „explosives Gemisch“ aus Kirschen und Wasser, müssten sich rein statistisch im Sommer die Krankenhäuser und Arztpraxen, insbesondere bei den Kinderärzten, mit Bauchschmerzen-Patienten füllen, was aber so nie verzeichnet werden konnte. Insofern lässt sich konstatieren:
Einen anerkannten wissenschaftlichen Beleg dafür, dass die Kombination aus Kirschen und Wasser Bauchschmerzen auslöst, gibt es nicht.
Was also steckt hinter dem Mythos?
Der Ernährungswissenschaftler Claus Leitzmann äußerte dazu die Vermutung, dass es sehr wahrscheinlich an verunreinigtem Trinkwasser während und nach Kriegszeiten gelegen haben mag. Er vermutete weiter, dass Bakterien und Hefen auf den Kirschen im Verein mit den Keimen im Wasser dieses Krankheitsbild ausgelöst haben könnten. Zudem kann es zu Gärungsprozessen im Magen durch den hohen Zuckeranteil in den Kirschen kommen. Wer schon mal starke Blähungen hatte, weiß, wie schmerzhaft das sein kann, denn unser Magen-Darm-Trakt reagiert sehr empfindlich auf einen erhöhten Innendruck.
Betrachten wir diese Sichtweise noch etwas genauer
Die Haut der Kirsche ist grundsätzlich von Mikroorganismen besetzt, dazu gehören auch verschiedene Hefepilze. Im Magen beginnen diese Pilze unmittelbar mit der Vergärung des Fruchtzuckers zu Alkohol, es entsteht eine Art Kirschwein und in dessen Schlepptau (gasförmiges) Kohlendioxid, was zu Aufstoßen und Blähungen führt.
Normalerweise ist das chemische Milieu in unserem Magen wegen der Magensäure (Salzsäure) extrem sauer und deshalb kommen die Hefepilze gar nicht zum Zuge. Das ist aber anders, wenn wir viel Wasser trinken, da dies die Magensäure stark verdünnt, was den pH-Wert erhöht. Der natürliche Schutzmechanismus gegen die Krankheitserreger wird dadurch in seiner Wirksamkeit herabgesetzt.
Sollten wir weniger trinken, um unsere Magensäure nicht auszudünnen?
Diese Fragestellung bietet sich nach obiger Erklärung unmittelbar an. Tatsächlich zeigen die dahin gehenden Untersuchungen, dass Speisen und Getränke unsere Magensäure kurzfristig signifikant verdünnen. Wasser ist also nicht der einzige Verursacher dieses Phänomens.
Im Übrigen nehmen wir ja mit fast allen Nahrungsmitteln Bakterien und Pilze in uns auf und verdünnen das alles jeden Tag mit irgendwelchen Getränken. Trotzdem sind Bauchschmerzen nicht an unserer Tagesordnung, denn der gesunde Verdauungstrakt kann die Keime bei einer normalen Ernährungsweise abwehren, so ist er konstruiert. Der Speisebrei durchfährt den Magen-Darm-Trakt in der Regel deutlich schneller als der Prozess der Zuckervergärung durch Hefepilze dauert.
Unser Körper weiß übrigens um die Beladung der Nahrungsmittel mit belastenden Keimen. Das zeigt sich immer dann, wenn ein Mensch schwer erkrankt ist. In diesem Fall vergeht uns total der Appetit und wir nehmen kaum noch ein Glas Wasser zu uns. Diese Reaktion ist deshalb so eingerichtet, weil der kranke Körper nicht noch zusätzlich mit den Keimen von außen kämpfen kann.
Neigt Steinobst dazu, uns Schwierigkeiten zu bereiten?
Kirschen und viele andere Obstsorten enthalten größere Mengen an Fruchtzucker. Nicht jeder Mensch kann diese Zuckerart vollständig aus dem Dünndarm aufnehmen mit der Folge, dass ein Teil des Fruchtzuckers weiter in den Dickdarm gelangt, wo er schließlich von den Mikroorganismen, die sich ganz normal im Dickdarm befinden, zersetzt wird. Dabei entstehen nicht unbeträchtliche Gasmengen, die zu schmerzhaften Blähungen führen können. In schwereren Fällen spricht man hierbei von einer Fruchtzucker-Unverträglichkeit. Wer darunter leidet, sollte fruktosehaltige Lebensmittel unbedingt vermeiden.
Aprikosen, Kirschen, Marillen, Pflaumen, Zwetschken und so weiter können also auch ohne Wasser Bauchschmerzen verursachen. Wer viel davon auf einmal zu sich nimmt, kann seinen Magen überfordern. Das liegt dann aber nicht daran, dass es sich um Steinobst handelte.